Dienstag, Mai 24, 2011

Das Leben des Georges Prosper Remi


Am 22. Mai 1907 bekommen Alexis und Elisabeth Remi ein Kind. Ihr Sohn erblickt in Etterbeek bei Brüssel zum ersten mal das Licht der Welt und wird Georges Prosper Remi genannt.Die ersten Jahre seines Lebens werden bezeichnend für seine gesamte Vita, gemessen an den schwierigen Umständen. Georges wächst in einer stark katholischen und konservativen Gesellschaft auf, seine ersten Schuljahre verbringt er während des Ersten Weltkriegs unter deutscher Besatzung. Ab 1920 besucht er mit Erfolg die erzkatholische Schule "Saint-Boniface" und tritt einem katholischem Pfadfinderbund bei, mit welchem er viele Reisen in europäische Länder utnernimmt. Im Februar 1923 erscheint mit "Die Abenteuer von Totor" im Pfadfindermagazin "Le Boy-Scout Belge" der erste Comic des schon zur Schulzeit passionierten Zeichners Remi. Dies bedeutet den Initialschuss für die Karriere des Jungen, der später unter dem Pseudonym seiner umgestellten Initialien RG als HERGÉ Berühmheit erlangen wird.Zu dieser Zeit tritt Hergé der "Movement d’Action catholique" und der "Association catholique de la Jeunesse belge (A.C.J.B.)" bei und bekommt Kontakt zu sich immer mehr radikalisierenden katholischen Jugendorganisationen. In folge dessen macht Hergé Bekannftschaft mit Léon Degrelle und Raymond De Becker, späteren Kollaborateuren mit den deutschen Besatzern, für die er Bücher illustriert.1925 macht er seinen Realschulabschluss und arbeitet anschließend für die katholischen Zeitung "Le XXe Siècle" zunächst in der Verwaltung. Die in klerikalen und konservativen Kreisen vielgelesene Zeitung erlebte vor allem unter Pater Norbert Wallez eine intensive Radikalisierung, die keinen Hehl aus ihrem radikal-politischen Duktus machte.Hergé absolviert im Jahre 1927 seinen Militärdienst, kehrt im Anschlussjahr 1928 zur "Le XXe Siècle" zurück, wo ihm nun die Verantwortung für die Kinderbeilage "Le Petit Vingtième" übertragen wird. Seine Arbeit als Illustrator verschafft ihm Ansehen innerhalb des Verlags, das ihn jedoch nicht zufriedenstellt. Er beschließt einen Comic im amerikanischen Stil zu zeichnen und veröffentlicht vom 10. Januar 1929 bis zum 8. Mai 1930 im "Le Petit Vingtième" den ersten "Tintin"-Comic: "Tintin au pays des Soviets" (dt. "Tim im Lande der Sowjets"). Dieses erste Abenteuer entstand unter starkem Einfluss des antibolschewistischen Wallez, der, neben Hergés Hauptquelle, "Moscou sans voiles" (dt. "Moskau ohne Schleier") von Joseph Douillet, in dem der Autor bereits einen absurd verklärten antikommunistischen Ton pflegte, für ein entsprechendes Ergebnis sorgt. 1930 veröffentlicht Hergé daneben mit "Quick et Flupke" (dt. "Stups und Steppke") den Anfang einer weiteren Comic-Reihe, welche die Abenteuer zweier Straßenjungen aus Brüssel beschreibt, die jedoch nie den Erfolg der "Tim und Struppi"-Comics erreichen wird. Mit "Tintin au Congo" (dt. "Tim im Kongo") setzt Hergé die Abenteuer des Reporters Tim fort, jedoch wieder durch den Einfluss Norbert Wallez' belastet, was diesmal für ein stark Pro-Kolonialistische Bild sorgt und bei den jugendlichen Lesern Begeisterung für die belgische Kolonialisierung und katholische Missionierung des Kongo regen soll. Auch wenn sich Hergé von seinen früheren Arbeiten später distanziert, werden ihm diese stets zum Vorwuf gemacht. 1931 folgt Tims Ausflug nach Amerika, der für das Kongo-Abenteuer zurückweichen musste. 1932 heiratete Hergé die Sekretärin von Wallez, Germaine Kieckens.Im selben Jahr veröffentlicht er "Les cigares du pharaon" (dt. "Die Zigarren des Pharaos"). Mit dem folgenden fünftem "Tim und Struppi"-Abenteuer ändert sich schließlich der politische Ton der Comics: aufgeschreckt durch die Ankündigung Hergés, dass Tim im nächsten Band nach China reisen würde, appeliert Pater Gosset, Kaplan der chinesischen Studenten an der Katholischen Universität Löwen, an den Autor bei diesem Thema Vorsicht walten zu lassen. Er macht Hergé mit Tschang Tschong-Jen bekannt, der an der Brüsseler Académie des Beaux-Arts Bildhauerei studiert, zwecks Vermittlung der chinesischen Kultur. Zwischen den beiden entwickelt sich eine intensive Freundschaft, die bei Hergé das engagierte Bestreben einer exakten Darstellung fremder Kulturen und Schauplätze enstehen lässt."Le lotus bleu" (dt. "Der Blaue Lotos") wird somit zur Zäsur in Hergés Œuvre, die Botschaft ist deutlich antiimperialistisch und das Bild der in Eruopa ansonsten wohlwollend betrachteten Japanern kritisch. Das sorgt bei Erscheinen des Bandes für scharfe Kritik, insbesondere durch japanischen Diplomaten. Hergé verewigt Tschang Tschong-Jen als Zeichen seiner Dankarbkeit in der Geschichte durch den jungen Chinesen "Tschang", der ein guter Freund von Tim wird. Der reale Tschang kehrt nach Beendigung seines Studiums nach China zurück, der Kontakt zwischen den Freuden bricht jedoch bei der Eroberung Chinas durch Japan ab.1935 arbeitet Hergé für die französische Wochenzeitschrift "Coeurs vaillants". Deren Zeitungsredaktion fordert eine Kontrastfigur zu Tim, eine Geschichte mit einem Kind als Protagonist. So entsteht die Serie "Jo, Zette et Jocko" (dt. "Jo, Jette und Jocko"), in deren Zentrum zwei Geschwister und ihr Schimpanse stehen. Insgesamt umfasst die Reihe drei Abenteuer in fünf Bänden, von denen allerdings erst das letzte, "La Vallée des cobras" (dt. "Das Tal der Kobras"), "Tintin" als ebenbürtig erachtet wird.1939 wird Hergé in die belgische Armee einberufen, kann somit einer Einladung Song Meilings, der Frau Chiang Kai-sheks, als Anerkennung für "Le lotus bleu", nicht folgen. Zugleich unterbricht dies seine Arbeit an "Au pays de l’or noir" (dt. "Im Reiche des Schwarzen Goldes"). Die Besetzung Belgiens durch Deutschland beendet seinen Militärdienst. "Le Petit Vingtième" wird von den Besatzern eingestellt, Hergé akzeptiert daher eine Anstellung bei "Le Soir", der in Brüssel am weitesten verbreiteten französischsprachigen Zeitung, die inzwischen von seinem alten Freund Raymond De Becker geleitet wird. Alexander von Falkenhausen, Chef der Militärverwaltung, instrumentalisiert indes die Zeitung als Sprachrohr für die deutschen Besatzer und Propagandamittel. Hergé ist gezwungen Kompromisse bei seinen Geschichten einzugehen, "Au pays de l’or noir" muss wegen seines unverkennbaren anti-faschistischen Tons bis 1950 unvollendet bleiben. Er weicht aus auf "Le crabe aux pinces d’or" (dt. "Die Krabbe mit den goldenen Scheren") aus, die den ersten Auftritt von Kapitän Haddock beinhaltet. Die Fortsetzungsgeschichte erscheint in der Zeitschrift "Le Soir Jeunesse" ab Oktober 1940.Wegen des Papiermangels ändert sich die Arbeitsweise von Hergé, die Seitenzahl wird eingeschränkt, weswegen er mehr Gags und Action in den Geschichten unterbringt, um die Spannung halten zu können. Und natürlich kann er keine politischen oder aktuellen Themen mehr gefahrlos einbinden, so dass er sich fantastischem Material widmet: in "L’étoile mystérieuse" (dt. "Der geheimnisvolle Stern") erzählt er von einer Expedition zu einem ins Meer gestürzten Meteoriten, "Le Secret de la Licorne" (dt. "Das Geheimnis der Einhorn") und "Le trésor de Rackham Le Rouge" (dt. "Der Schatz Rackhams des Roten") handeln von einer Schatzsuche und "Les 7 boules de cristal" (dt. "Die sieben Kristallkugeln"), wie "Le temple du soleil" (dt. "Der Sonnentempel") thematisieren einen Inka-Fluch. In den Geschichten liegt der Fokus mehr auf den handelnden Personen und mit Professeur Tryphon Tournesol (dt. Professor Bienlein) führt Hergé in "Le trésor de Rackham Le Rouge" eine neue wichtige Figur ein, die Teil der "Ersatzfamilie" Tims wird. Die Änderung finden großen Anklang beim Publikum und bis heute gehören die sechs während des Krieges entstandenen Alben zu den beliebtesten Geschichten Tims.Dennoch wurde Hergé in die Propagandamaschinerie miteingebunden. 1940 illustrierte er das antijüdische Buch "Fables" von Robert de Vroylande im typisch zeitgenössischen antisemitischen Stil, der Antagonist in "L’étoile mystérieuse" ist unverkennbar ein in Amerika lebender jüdischer, rücksichtsloser Bankier.1943 stellt Hergé Edgar Pierre Jacobs als Hilfe bei der Überarbeitung einiger älterer Geschichten an, zu dessen signifikantesten Arbeiten die Zeichnungen der Kostüme und der Hintergründe in "Le sceptre d’Ottokar" (dt. "König Ottokars Zepter"), sowie das Titelbild zu "Le temple du soleil" und die Mitarbeit an "Les 7 boules de cristal" gehört.Am 3. September 1944 endet die Besetzung Brüssels, die Alliierten schließen "Le Soir". In den folgenden Jahren muss sich Hergé den Vorwürfen stellen, er sei Nazi-Sympathisant gewesen, wird viermal von verschiedenen Gruppen verhaftet, jedoch nie veruteilt. Dennoch findet er aufgrund seiner Mitarbeit bei der nationalsozialistisch kontrollierten Presse zunächst keine neue Anstellung. Stattdessen arbeitet er mit Edgar Pierre Jacobs und der neuen Assistentin Alice Devos an der Nach-Kolorierungen der bisherigen Alben.
1946 stellt ihn schließlich Raymond Leblanc, ein ehemaliger Résistance-Kämpfer, ein, der das Magazin "Tintin" gründet. Es erscheint das erste mal am 26. September 1946, von da an im wöchentlichen Intervall, jeweils mit zwei Seiten neuer "Tintin"-Abenteuer. Dem Magazin ist ein beachtlich Erfolg beschieden mit einer Auflage von über 100.000 Exemplaren. Als Edgar Pierre Jacobs Mitarbeit zunimmt, verlangt er die Nennung als Ko-Autor, was Hergé ablehnt, wodurch ihre Zusammenarbeit ein Ende findet. Jacobs wendet sich einer eigenen, erfolgreichen Serie zu, die ebenfalls in "Tintin" publiziert wird: "Les Aventures de Blake et Mortimer" (dt. "Blake und Mortimer").Hergé selbst belastet die Arbeit an "Tintin" sehr und 1949 erleidet er während der Arbeit an der neuen Version "Au pays de l’or noir" einen Nervenzusammenbruch. Die erzwungene Pause dauert vier Monate und 1950 folgt ein weiterer Zusammenbruch während er an "Objectif Lune" (dt. "Reiseziel Mond") arbeitet.
Am 6. April 1950 wird das Studio Hergé gegründet, in dem verschiedene Assisteten, zu den bedeutensten zählen Bob de Moor und Jacques Martin, Hergé entlasten und vornehmlich Details und Hintergründe zeichnen. In Zusammenarbeit mit dem Studio enstehen zwischen 1952 und 1958 "Objectif Lune", "On a marché sur la Lune" (dt. "Schritte auf dem Mond"), "L’affaire Tournesol" (dt. "Der Fall Bienlein") und "Coke en stock" (dt. "Kohle an Bord").Privat kommt es nach fünfundzwanzig Jahren Ehe zur Krise zwischen Hergé und seiner Frau Germaine, weil er sich in die junge Zeichnerin Fanny Vlaminck verliebt hat. Zudem plagen ihn Alpträume von weißen Flächen, weswegen ihm ein konsultierter schweizer Psychoanalytiker rät, die Arbeit an den Comics aufzugeben. Dementgegen arbeitet Hergé an der Geschichte "Tintin au Tibet" (dt. "Tim in Tibet"), die von September 1958 bis November 1959 veröffentlicht wird. In ihr unternimmt Tim eine Rettungsexpidition in den Himalaja, wo sein Freund Tschang mit einem Flugzeug abgestürzt ist. Auf diese Art schafft es Hergé, seine Alpträume künstlerich zu verarbeiten. Dieses wohlmöglich persönlichste Abenteuer bezeichnet er später als seine Lieblingsgeschichte. Darüberhinaus steht die Geschichte für einen neuen Abschnitt in Hergés Leben, eine Zeit des Wandels.1963 erscheint "Les bijoux de la Castafiore" (dt. "Die Juwelen der Sängerin") und 1966 "Vol 714 pour Sydney" (dt. "Flug 714 nach Sydney"). 1975 lassen sich Hergé und Germaine scheiden, ein Jahr später wird "Tintin et les Picaros" (dt. "Tim und die Picaros") veröffentlicht. 1977 heiraten Hergé und Fanny Vlaminck. 1981 treffen sich Hergé und Tschang Tschong-Jen, der die Kulturrevolution als Straßenkehrer überstanden hat, nach über vierzig Jahren wieder. Tschang zieht 1985 nach Paris, wo er bis zu seinem Tod 1998 lebt.
Am 3. März 1983 erliegt Georges Prosper Remi alias Hergé in der Klinik Saint-Luc in Brüssel den Komplikationen einer Blutarmut, an der er schon einige Jahre litt. Er wird, seinem Wunsch entsprechend, auf dem Friedhof am Dieweg im Brüsseler Stadtteil Uccle beerdigt, obwohl der Friedhof 1950 für neue Gräber geschlossen worden war.In seinem Testament verfügte Hergé, dass "Tintin" von niemandem weitergeführt werden darf. Tims nie vollendetes letztes Abenteuer "Tintin et l’Alph-Art" (dt. "Tim und die Alphakunst") wurde nur in Form von Skizzen und Notizen veröffentlicht. Hergés Ehefrau Fanny schloss die Hergé-Studios 1987 und gründete die Hergé-Stiftung, die 2001 verhinderte, dass "Tim in Tibet" in China unter dem Titel "Tim und Struppi im chinesischen Tibet" erscheint. 1988 wurde auch das Magazin Tintin eingestellt.Zurück bleibt ein nicht mehr aus der Comic-Welt wegzudenkendes Abenteuer-Werk, das tatsächlich ein jüngeres und älteres Publikum zugleich anspricht. Wegen der vielseitigen, aufregenden Abenteuer, die bisweilen auch nicht eines politischen Kommentars entbehren und Zeugnis eines turbulenten Jahrtausends sind. Wegen der eingängigen Charaktere, die Kultcharakter besitzen und nicht nur unter tintinophilen einen hohen Stellenwert belegen. Wegen den exotischen Schauplätzen, die der Reporter Tim mit seinem treuen Gefährten Struppi bereist. Und wegen den humanen Botschaften von Rechtschaffenheit und Frieden.
Zugleich sind sie aufs engste mit dem ereignisreichen Leben Georges Prosper Remis verknüpft, der die Serie bis zu seinem Tod gepflegt und darüber hinaus nicht mehr aus den Händen gegeben hat, ausgenommen an seine Ehefrau.

Ich verdanke den Geschichten unzählige schöne Kindheitserinnerungen, die bis heute andauern und die ich nicht missen will. Ich denke, das geht vielen auf der ganze Welt nicht anders. Deswegen gedenke ich hier mit der höchsten Andacht diesem passionierten Comic-Autor, der ein unvergessliches Werk geschaffen hat.

Wer mehr über Hergé, Tintin, Milou und alle die anderen wissen will, wird hier fündig:

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