Zumindest meinen das beiwohnende Fans erkannt zu haben, als Pro7 am Donnerstag, dem 25.8. der neuen Synchronstimme von Homer Simpson als Fan-Event ihre eigene Premiere in Berlin in der Astor Filmlounge auf dem Ku'damm zuteilwerden ließ. Homer Simpsons langjähriger und legendärer Sprecher Norbert Gastell verstarb tragischerweise im Alter von 86 Jahren am 26.9.2015 und hinterließ eine noch klaffendere Wunde im Ensemble der Synchronsprecher der "Simpsons" als ihrerzeit Elisabeth Volkmann. Die deutsche Schauspielerin, Komikerin und Synchronsprecherin sprach bis zu ihrem Tod im Juli 2006 Homers treuherzige und liebende Lebenspartnerin Marge und bereits nach ihrem Ableben entwickelte sich eine hitzig geführte Debatte darüber, wer ihre Nachfolge antreten würde oder überhaupt antreten könne. Ihre Stimme war im Bewusstsein des deutschen Publikums mit der Rolle auf eine Art und Weise verschmolzen, dass eine Neubesetzung unmöglich erschien und von Vornherein für die Nachfolgerin zu einer unüberwindbar scheinenden Bürde werden musste. Schlussendlich stellte sich Anke Engelke dieser schwierigen Aufgabe, eine Entscheidung, die mit Sicherheit nicht jeden erfreute. Aber Engelke machte und macht ihre Sache bis heute ausgezeichnet, dabei orientiert sie sich stimmlich näher an Marges amerikanischen Sprecherin Julie Kavner als an der Interpretation Elizabeth Volkmanns.
Indessen sind Norbert Gastell und Homer dahingehend noch eine Stufe schwieriger, schließlich, was für die Verschmelzung von Stimme und Rolle für Elisabeth Volkmann und Marge Simpsons gilt, gilt für diese beiden in noch größeren Maße. Gastell sprach den jähzornigen, naiven, genusssüchtigen, faulen Familienvater von 1991 an ohne Unterbrechung bis zu seinem Tod, also sage und schreibe 24 Jahre lang. All dessen Charakterzüge zum Leben zu erwecken oblag seiner unverkennbaren, wechselvollen Stimme, was ihm ebenso ebenso kongenial, wie unverwechselbar gelang und zu seiner bekanntesten Arbeit als Synchronsprecher machte. Angesichts dieser Hingabe und dieses Zeitraums musste zwangsläufig eine besondere und besonders wirksame Beziehung und Zusammengehörigkeit zwischen Künstler und Rolle entstehen, zumal es sich dabei um eine derartig kulthaft verehrte Serie wie "Die Simpsons", ferner noch die innerhalb der Serie mutmaßlich ikonischste Rolle handelt. Aber das ist noch mehr: Norbert Gastells Stimme IST Homer Simpson. Sie ist alles, was ihn in der deutschen Fassung ausgemacht und definiert hat, schon allein deswegen, weil sie von Anfang an, seit den ersten Folgen Teil des Charakters war, sie ist der Klang, der einem in den Sinn kommt, denkt man an Homer Simpson. Weshalb sie in der deutschsprachigen Welt schwerlich, im Grunde genommen überhaupt nicht mehr von der Figur zu trennen ist - ein Umstand, der sowohl Gastells Sukzessor, als auch die Personen, die ihn erwählen, vor eine noch schwerwiegendere, noch unmöglicher erscheinende Aufgabe stellt.
Nachdem sich Pro7 lange Zeit in Schweigen gehüllt hatte, auf wen die Wahl fallen würde (selbst bei oben erwähntem Event ließen sie es sich nicht nehmen, keinen Namen fallen zu lassen), steht inzwischen für viele Fans fest: der Münchener Schauspieler und Synchronsprecher Christoph Jablonka ist die neue Stimme von Homer Simpson, konnte sich gegen 30 weitere Anwärter durchsetzen und steht dieser wahnsinnig, wahnsinnig heiklen Berufung gegenüber. Er ist ein gestandener und bewährter Synchronsprecher, war etwa die Station Voice für Pro7 von 1992 bis 2000 und übt die gleiche Stellung seit 2009 für Sky aus. Seine Stimme lieh er einem breiten Spektrum von Figuren in einer Vielzahl von Serien und Filmen, so war er zu hören in größeren Produktionen wie "Flags Of Our Fathers", "J. Edgar", "Gran Torino", "Big Fish", in mittelgroßen wie "Final Destination", "Der blutige Pfad Gottes" oder "Doomsday", hin und wieder zudem in Albernheiten wie "The Happening" oder "Bonnie & Clyde vs. Dracula". Er sprach den herrlich irren Kung Fu-Priester McGruder in Peter Jacksons abgefahrenen Splatter-Klassiker und "Psycho"-Hommage "Braindead" (aka "Dead Alive"), einen der Trolle in "Der Hobbit - Ein unerwartete Reise" oder Peter Dinklage in "Narnia", manchmal auch bloß einen Straßenverkäufer wie in "Kevin - Allein in New York". Für "Star Trek" hat er seine Stimme in "Star Trek VI - Das unentdeckte Land" und "Star Trek Enterprise" hergegeben, ebenso wie für "Godzilla - Der Urgigant" (ich glaube, das ist der 17. in der Reihe der "Godzilla"-Filme). Außerdem hatte er Sprechrollen in Serien wie "Law & Order", "Die Tudors", "Poirot", "Community", "Herkules" oder "How I Met Your Mother". Häufig ist er für Zeichentrickfilme und -serien tätig, oftmals für japanische Anime, etwa "Vampire Hunter D: Bloodlust", "Das Schloss im Himmel", "Ghost In The Shell", "One Piece", den "Transformers"-Cartoon, "Drawn Together" oder sogar "South Park Imaginationland".
Kurzum: hier folgt auf Gastell ein erfahrener und versierter Synchronsprecher - der in den ersten Folgen, die auf der Präsentation von Pro7 zu sehen und hören waren, offenbar Fans und Kritiker gleichermaßen ausnahmsweise nicht zu Wutausbrüchen und Hassbekundungen getrieben, im Gegenteil die meisten zufrieden gestellt hat, viele empfinden Jablonka der Stimme von Gastell recht nahe kommend. Das gibt doch Grund zu Hoffnung. Wer einen Vorgeschmack haben möchte, kann sich die dreist abgefilmten paar Sekunden bei YouTube zu Gemüte führen. Ansonsten heißt es warten, bis die neuen Folgen auf Pro7 anlaufen.
Hinter dieser selbstredend gravierenden Neubesetzung ist ein wenig untergegangen, das ein weiterer langjähriger Sprecher "Die Simpsons" verlässt: Ulrich Frank, der Ned Flanders, den gottesfürchtigen Nachbarn der Simpsons, seit langer, langer Zeit seine Stimme geliehen hat, geht in den (wohlverdienten) Ruhestand und hinterlässt ebenfalls eine schwer zu füllende Lücke. Wer ihn künftig ersetzt, steht indes noch nicht fest.