Da die (absurd lächerliche) Geschichte um die Indizierung des
Rammstein-Albums "Liebe ist für alle da" bereits des Öfteren in
meinem Blog Erwähnung fand (wir erinnern uns), fühle ich mich verpflichtet, die
neuste Entwicklung in dieser Sache hier ebenfalls einfließen zu lassen.
Natürlich wollte die Band das nicht widerstandslos über sich ergehen lassen und legte Einspruch gegen die Entscheidung ein - mit Erfolg. Im Mai 2010 entschied das Verwaltungsgericht Köln, dass die Indizierung aufzuheben sei, argumentierte unter anderem damit, dass die BPjM die künstlerische Bedeutung des Mediums unzureichend berücksichtigt hätte.
Doch damit hat die Geschichte immer noch kein Ende gefunden, denn jetzt hat Rammstein (vergleichsweise spät) Klage beim Bonner Landgericht eingereicht und fordert von der Bundesrepublik 66.000 Euro Schadensersatz mit der Begründung, dass aufgrund der zeitweiligen Indizierung etwa 85.000 Tonträger vernichten werden mussten. Der Prozess soll im Sommer dieses Jahres beginnen.
Ungeachtet davon, was man von Rammstein als Künstlergruppe oder vom betreffenden Album halten mag, wirft diese fortdauernde Farce ein erhellendes Licht auf die Institution der BPjM in ihrer Funktion als absurde Zensur-Behörde, die mit ihren Teils willkürlich anmutenden Indizierungs-Beschlüssen ein Kunst- und Zensur-Diktat konstituiert, dass über sein Jugendschutz-Ressort weit hinausgeht. Letzten Endes wird durch sie schließlich ebenfalls der erwachsene Bürger ihrem Verständnis davon, was Kunst ist und was nicht, was gezeigt werden darf und was nicht, unterworfen. Und der Fall Rammstein, bzw. der Fall "Liebe ist für alle da" legt offen, dass man sich ganz und gar nicht ohne Weiteres auf die Kompetenz der BPjM-Gremien verlassen kann und ehrlich gesagt auch nicht sollte, denn dafür ist der Begriff "Kunst" viel zu weitläufig und individuell auslegbar, von dem Argument der "Verrohung", das nur zu gern als Indizierung-Grund angebracht wird, ganz zu Schweigen. Zumal sich die Fragen eröffnen, wenn sie eine offen gelegte Fehlentscheidung getroffen haben, wie steht es dann mit all den nicht angefochtenen, nicht publik gewordenen defizitären Einschätzungen? In wie viele Fällen wurde eine Entscheidung geduldet, nur weil man den (kostspieligen) juristischen Weg der Anfechtung nicht einschlagen wollte? Inwiefern findet eine indirekte Vorabzensur bereits im Entstehungsprozess statt?
Deutschland verfügt nach wie vor über eines der striktesten, apodiktischsten Zensur-Systeme der Welt, das dringendst einer unserer demokratischen Staatsform angemessenen Reformierung (eine Abschaffung halte ich nicht für die Lösung) bedarf und den Deckmantel des Jugendschutzes und den euphemistischen Titel einer Jugendschutzbehörde abzulegen hat, auf dass dem erwachsenen Bürger im Bereich der Kunstfreiheit endlich dieses Stückchen seiner Selbstbestimmung zugestanden wird und er nicht mehr der staatlichen Entmündigung unterliegt. Einen Vorgeschmack davon, wohin uns ein vom Staat definierter Kunst-Begriff, was Kunst darf und was nicht, führt, kriegen wird gerade im Fall Böhmermann: solang es der politischen Agenda dient, sind Kunst-, Rede- und Meinungsfreiheit Dinge, die nur zu leichtfertig auf den Pokertischen der Landes- oder Weltpolitik als Einsatz missbraucht werden. Und das ist beinahe noch die leichtverdauliche Vision. Man stelle sich vor, was eine demokratiefeindliche Partei wie die AfD, sollte sie unfassbarerweise an die Macht kommen, mit einem rigiden Zensur-System wie diesem anstellen könnte. Das möchte ich mir gar nicht erst ausmalen... neben vielen anderen Dingen, die ich mir in diesem Fall nicht vorstellen möchte.
"Die Zensur ist die schändlichere von zwei Schwestern. Die ältere heißt Inquisition. Die Zensur ist das lebendige Eingeständnis der Herrschenden, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können."Johann Nepomuk Nestroy
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